„WiR hilft! Gemeinsamkeiten machen stark – Selbsthilfe in Schleswig-Holstein“
Rückblick zum Fachtag der Selbsthilfe-Akademie Schleswig-Holstein vom 3. September 2022: „WiR hilft! Gemeinsamkeiten machen stark – Selbsthilfe in Schleswig-Holstein“
Idee und Programm
Fachtage sind Orte um zusammenzukommen, Impulse zu erhalten und Perspektiven zu entwickeln. Mit diesem Ziel fand am 03. September 2022, der 4. Fachtag der Selbsthilfe-Akademie Schleswig-Holstein statt. Unter der Überschrift „Wir Hilft! Gemeinsamkeiten machen stark – Selbsthilfe in Schleswig-Holstein“ haben über 30 Personen aus Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorganisationen und Selbsthilfekontaktstellen online teilgenommen.
Die Selbsthilfe in Schleswig-Holstein ist erfolgreich – keine Frage. Und es tauchen immer wieder Themen und Fragen auf, die für alle Aktiven relevant sind: Wie kann sich die Selbsthilfe besser vertreten? Wie können Forderungen für eine umfassendere gesellschaftliche Teilhabe nachdrücklicher kommuniziert werden, um Veränderungen zu bewirken? Dabei geht es auch um existentielle Fragen: Wie kann ich erwerbstätig sein und bleiben, ein Studium oder eine berufliche Ausbildung abschließen mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung? Diese Themen sind komplex und um Lösungen zu finden, braucht es das Zusammenwirken und das Engagement der Menschen aus verschiedenen Selbsthilfebereiche. Doch wie entsteht gemeinschaftliches Handeln? Gibt es „die Selbsthilfe“, die aktiv wird? Herausfordernde Fragen, für die wir auf dem Fachtag den Blick öffnen wollten. Die Erwartung war nicht, abschließende Lösungen zu finden, sondern einen Prozess anzustoßen, damit gemeinschaftliches Handeln möglich wird.
Grußworte
Der Fachtag war der Auftakt in Schleswig-Holstein für die bundesweite „Aktionswoche Selbsthilfe“: Wir Hilft!. Die Schirmherrschaft für Schleswig-Holstein hat Ministerpräsident Daniel Günther übernommen. Mit den Grußworten von Iris Kröner, AOK NordWest, Dirk Mitzloff, Vertretung der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen und Kerstin Olschowsky, Vertreterin des PARITÄTISCHEN, wurden die verschiedenen Perspektiven auf die Selbsthilfe deutlich. Alle betonten die Bedeutung und die Stärke der Selbsthilfe und sahen notwendige Weiterentwicklungen, damit Selbsthilfe als unentbehrliche und landesweit zur Verfügung stehende Unterstützung sichtbarer und wirksamer wird.
Daniel Günther, Ministerpräsident Schleswig-Holstein: „Die gemeinschaftliche Selbsthilfe stärkt Menschen und wirkt ins ganze Land.“
Dirk Mitzloff, Vertretung der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung: „Was brauchen die Menschen aus der Selbsthilfe, um eine gemeinsame Stimme zu entwickeln?“
Iris Kröner, AOK NordWest: „Selbsthilfe ermöglicht verlässlichen Rat und Unterstützung und stiftet Gemeinsamkeit auf Basis geteilter Erfahrungen. Ich sehe die Selbsthilfe daher als unverzichtbare Stärkung für unser Gemeinwesen.“
Kerstin Olschowsky, Paritätischer Schleswig-Holstein: „Auch, wenn die eigenen Interessen ein wichtiges Motiv für das Selbsthilfe-Engagement sind, so bin ich überzeugt, dass gemeinschaftliches Denken und Handeln die Selbsthilfe zukunftsfähig macht.“
Ich weiß, wie’s dir geht! – Poetry Slam Michelle Boschet
„Ich weiß, wie‘s dir geht.
Du willst aufgeben? Versteh ich.
Aber da wo du bist, da waren wir auch,
da sind wir nicht mehr und du irgendwann auch,
also halt noch etwas aus,
du kannst das, schau!
Wir alle dachten, das geht nie mehr vorbei.
Und dank den andren weiß ich jetzt:
Der Schmerz wird gehen, aber ich bleib.“
In ihrem persönlichen und einfühlsamen Text schreib die 22-jährige Poetry Slammerin Michelle Boschet über ihre Erfahrungen in der Selbsthilfe.
Impulsvortrag: „Was hilft- Gemeinsamkeiten machen stark“ von Andreas Greiwe, Paritätischer Nordrhein-Westfalen
In seinem Impulsvortrag „Selbsthilfe als gemeinschaftliche Kraft – jetzt und in der Zukunft“ hat Andreas Greiwe vom Paritätischen NRW den Blick auf die Selbsthilfe in diesen bewegten Zeiten geworfen. Er attestiert, dass die Selbsthilfe zwar stark ist, aber schon länger in der Krise steckt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Verunsicherung darüber, wie die wachsende Digitalisierung in die Selbsthilfe passt; alternde und schrumpfende Gruppen; abnehmende Bereitschaft, Verantwortung in der Gruppe zu übernehmen und einige Gründe mehr. Die Reaktionen auf diese Probleme sind aber ähnlich. Es wird an den bewährten Mustern festgehalten. Vielfach scheuen sich Menschen in den Gruppen und Organisationen, das Wir Hilft! indikationsübergreifend und in neuen Formen zu wagen. Andreas Greiwe betont, dass das Verbindende stärker in den Vordergrund treten sollte. Dafür braucht es Orte des Austausches. Ein Wegweiser kann die Frage sein: Was bietet die Selbsthilfe, was Betroffene woanders nicht finden? Unterstützung und Selbstsorge sind und bleiben die wichtigsten Elemente der Selbsthilfe. Dieser Mehrwert der Selbsthilfe baut Brücken zwischen den Organisationsebenen der Selbsthilfe, zeigt die Verbindung zwischen der gesundheitlichen und der sozialen Selbsthilfe auf und bietet die Chance, Themen gemeinschaftlich weiterzuentwickeln.
Workshops
Im Laufe des Fachtags wurden unterschiedliche Ideen deutlich, wie sich die Selbsthilfe gemeinschaftlich weiterentwickeln kann. So können sich Menschen aus Gruppen einer Region verständigen, um im kommunalen Umfeld sichtbarer werden; um Anforderungen an barriereärmere Städte und Gemeinden kollektiv zu vertreten; um eine Zusammenarbeit mit den kommunalen Behindertenbeauftragten anzustreben, die alle Betroffenen stärkt. Auch Beiräte aus Vertretungen der Selbsthilfegruppen können ein sinnvolles und unterstützendes Gremium für die Kontaktstellen werden.
Zukunftsforum mit Fachexpert*innen und Akteur*innen
Selbsthilfeorganisationen und Kontaktstellen bündeln Wissen und Erfahrungen zu spezifischen Themen. Diese Ressourcen zu nutzen und voneinander zu lernen ist ein Ziel gemeinschaftlichen Handelns. Andreas Heitmann, DMSG SH, berichtete vom Projekt „Job Coaching“, bei dem MS Erkrankte gecoacht wurden, wie man mit der Erkrankung im Beruf und im Studium umgeht. Erfahrungen, die auch Menschen mit anderen Indikationen helfen können. Weitere Impulse aus der Arbeit kamen von Susanne Jahn, KIBIS Rendsburg, zu der Rolle der Kontaktstellen als regionale Drehscheibe, Katja Schillhorn, Sarkoidose Selbsthilfe, zu den Chancen dezentraler Zusammenarbeit und Organisation und den Nordlichtern zu den Bedarfen und Belangen der Jungen Selbsthilfe.
Fazit und Ausblick
„Was fördert und was hemmt das gemeinschaftliche Handeln in der Selbsthilfe?“ war die Frage, die in Kleingruppen diskutiert wurde. Zusammengefasst wurde deutlich, dass die letzten Pandemiejahre die Selbsthilfe-Akteur*innen sehr gefordert und vielfach in ihrem Engagement auch überfordert haben. Zunehmende Verwaltungsanforderungen wirken demotivierend und manchmal ist es nicht einfach, den Blick über das eigene Selbsthilfefeld hinaus zu öffnen. Gleichzeitig haben die Teilnehmenden oft betont, dass die gegenseitige Unterstützung in der Selbsthilfe immer wieder motiviert, sich zu engagieren. Ein erster Schritt kann der weitere Blick auf das Wir Hilft! sein. Über die eigene Gruppe hinaus in die lokale, regionale Selbsthilfe. Das Wir von Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorganisationen und Selbsthilfekontaktstellen bietet ganz viel Potenzial.
Die Selbsthilfe-Akademie ist dabei ein Partner, der auch zukünftig die offenen Themen aufgreift und die Menschen in der Selbsthilfe miteinander ins Gespräch bringt. Für 2023 sind Dialogforen für den weiteren Austausch mit den Selbsthilfe-Akteur:innen geplant.